D. Tamir: Hebrew Fascism in Palestine, 1922–1942

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Titel
Hebrew Fascism in Palestine, 1922–1942.


Autor(en)
Tamir, Dan
Erschienen
Cham 2018: Palgrave Macmillan
von
Bergamin Peter

Dan Tamirs Buch, das auf seiner Zürcher Doktorarbeit basiert, ergänzt die wachsende Zahl von Studien, die sich dem rechtsextremen «maximalistischen» Strom der revisionistischen Partei des Zionismus widmet. Diese Strömung war in den 1930–40er Jahren unter den Revisionisten im Jischuv, wie die jüdische Gemeinschaft in Palästina vor der Gründung des Staates Israel genannt wurde, allerdings dominierend. Tamir konzentriert sich nicht nur auf diese Inkarnation des revisionistischen Zionismus, sondern er geht noch einen Schritt weiter und fokussiert sich ausschliesslich auf die «faschistische» Dimension der Gruppe, um für die Existenz einer Bewegung des «hebräischen» Faschismus in Palästina von 1922 bis 1942 zu argumentieren. Tamirs Hypothese lautet: «[I]f fascism is present in any given modern society during times of political crisis, and if a modern Hebrew society in Palestine was experiencing a deep political crisis during the 1920s and 1930s, one may expect a fascist movement to have emerged within that society at the time» (S. 9). Zu diesem Zweck verwendet Tamir als methodische Grundlage die bekannten «neun mobilisierenden Leidenschaften, die der faschistischen Aktion zugrunde liegen» des Historikers Robert Paxton. Über dieses Raster legt Tamir sodann seine Beweise für die Existenz des einen oder das anderen – oder nach Tamirs Einschätzung allen – von Paxtons «neun mobilisierenden Leidenschaften» im «maximalistischen» Revisionismus des Jischuv.

Das erreicht er durch eine reichhaltige sowie abwechslungsreiche Präsentation und Untersuchung des journalistischen als auch literarischen Outputs von sechs der bekanntesten Befürworter des von Tamir untersuchten «hebräischen Faschismus». Konkret geht es um die Artikel von Itamar Ben Avi, Wolfgang von Weisl, Abba Ahimeir, Yehoshua Yevin, Uri Zvi Greenberg, Avraham Stern, die in verschiedenen revisionistischen JischuvOrganen publizierten, wobei viele die extremen politischen Neigungen ihrer Autoren verkörperten. Überzeugend verfolgt Tamir die Frustration seiner Figuren über den Sozialismus bis hin zu ihrer überwältigenden Begeisterung für den neuen «Retter», Mussolini, den sie als Messias betrachteten. Es ist vielleicht nicht überraschend, dass die drei wichtigsten Führer der Maximalisten – Greenberg, Yevin und insbesondere Ahimeir – Tamirs Studie dominieren.

Das Thema des Buches ist faszinierend. Tamir hat eindeutig eine grosse Menge an Archivarbeit geleistet und einige sehr wichtige Stimmen sowie ihre zum Teil vergessenen Presseorgane wieder in Erinnerung gerufen. Die Leserschaft ist zweifelsohne davon überzeugt, dass bei vielen der maximalistischen Revisionisten «faschistische Elemente» vor handen waren und dass sie journalistisch viel produktiver sowie in ihrer extremen Botschaft viel unerbittlicher waren, als dies bislang bekannt war. Die Leserschaft wird aber sicherlich mehr wollen, und das Buch hätte sicherlich in jeder Hinsicht von mehr profitieren können: mehr historischer Kontext für viele der Zeitungsartikel, die Tamir vorlegt, mehr Beweise, um die eine oder andere seiner Behauptungen zu stützen (sie leiten sich alle aus Paxtons neun «mobilisierenden Leidenschaften» ab) und in der Tat aus strengeren Analysen des vorgestellten Materials. Schliesslich fragt man sich warum ausgerechnet Paxton? Gewiss ist er eine sehr wichtige Stimme in der Faschismusforschung, er ist aber auch nicht unumstritten. Noch wichtiger: Paxtons neun «mobilisierende Leidenschaften» könnten sehr leicht auch für manche Strömung des Kommunismus gelten. Was bleibt übrig? In der Tat führt Tamirs hartnäckiges Festhalten an Paxtons Modell – und folglich sein Bedürfnis, alle Beweise diesem Parameter mechanisch unterzuordnen – zuweilen nicht nur zu überhasteten, oberflächlichen Schlussfolgerungen, sondern verhindert auch tiefergreifende Analysen. Als Beispiel sei ein Zitat aus einem Artikel in der Zeitung HaAm genannt: «for Ha-‘Am is more than just a party paper, more than a one-stream newspaper, Ha-‘Am delivers the voice of the whole community in Palestine» (S. 106) – dazu die eher spezifische Schlussfolgerung Tamirs: «In other words: Revisionist Zionism is the only political truth, to which all other ideological factions and groups should adapt» (ebd.). Man darf sich mit guten Gründen fragen, ob eine solche zugespitzte Schlussfolgerung hier zulässig ist. Gleiches gilt für folgende Behauptung: «Beytar [die revisionistische zionistische Judgendgruppe, P.B.] acknowledges that the individual’s action or the benefit of the class are totally subjected, during the whole period of the construction of the Hebrew statehood in Palestine, to the benefit of this construction» (S. 63). Gemäss Tamir sei dies ein «clear example of an ideology subordinating the individual to the group» (ebd.). Er stellt aber nicht die tiefere Frage, ob die Unterwerfung unter die hebräische Gesellschaft mit der Unterwerfung unter den hebräischen Staat gleichgesetzt werden sollte. Solche Fragen werden einfach nicht aufgeworfen, vermutlich, weil sie nicht zum Konzept von Paxtons «mobilisierenden Leidenschaften» passen. Paxton sollte als Sprungbrett für weitere Diskussionen dienen und nicht das letzte Wort in einer solchen Studie verkörpern. Und vor allem: Auch wenn Tamir faschistische Elemente im «maximalistischen» Flügel der Revisionisten im Jischuv ausmacht, heisst das zwangsläufig, dass es dort eine faschistische Bewegung gab? Um die Frage zu beantworten, bräuchten wir mehr Beweise und Analyse, was Tamir nicht bieten kann. Trotz allem ist Tamirs Leidenschaft für das Thema offenkundig. Und obwohl die Leserschaft vielleicht mehr Tamir und weniger Paxton lesen möchte, ist Hebrew Fascism in Palestine (1922–1942) dennoch eine wichtige Ergänzung zur Forschung über das Thema.

Zitierweise:
Bergamin, Peter: Rezension zu: Tamir, Dan: Hebrew Fascism in Palestine, 1922–1942, Cham 2018. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 71 (1), 2021, S. 207-208. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00080>.

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